3sat
Tabu Tempolimit
Report, Verkehr • 21.09.2017 • 20:15 - 21:00
Wie schnell fahren die Deutschen auf der Autobahn? Laut Bundesverkehrsministerium werden diese Daten nicht erfasst. Die BAST hat die Durchschnittsgeschwindigkeit auf der Autobahn zuletzt 1992 erhoben, damals lag sie bei 120 km/h. Seitdem gibt es nur noch Stichproben. Sie legen nahe, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit gestiegen ist.
Vergrößern
Die beiden fahren 380 Kilometer von Mannheim bis nach München. Wo es erlaubt ist, gibt Michael Haberland ordentlich Gas - Michael Mertens hält sich an ein imaginäres Tempolimit von 130. Wie groß wird der Zeitunterschied sein?
Vergrößern
Von Seiten der Politik wird am Thema Tempolimit nicht gerüttelt. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur teilt mit: "Ein generelles Tempolimit steht nicht im Einklang mit den verkehrspolitischen Zielen der Bundesregierung. Das BMVI setzt sich für mehr intelligente Steuerung durch Telematik anstatt starrer Tempolimits auf deutschen Autobahnen ein."
Vergrößern
Die Section Control misst die Geschwindigkeit nicht an einem Punkt, sondern über mehrere Kilometer hinweg. In Deutschland ist seit 2014 geplant, das System zu testen. Eine Modellanlage steht auch schon, darf aber noch nicht blitzen. Die Bedenken der Datenschützer konnten noch nicht ausgeräumt werden.
Vergrößern
Michael Haberland vom Automobilclub "Mobil in Deutschland" ist gegen ein Tempolimit. Er ist der Meinung: "Die Argumente der Tempolimit-Befürworter sind an den Haaren herbeigezogen. Wir brauchen freie Fahrt auf der Autobahn."
Vergrößern
Michael Mertens ist stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Er sagt: "Ich habe zu viele schwere Unfälle gesehen, um nicht für ein Tempolimit zu sein. Ein Tempolimit würde viele Leben retten."
Vergrößern
In der Verkehrszentrale Hessen in Frankfurt wird der Verkehr auf den Autobahnen durch Telematik gesteuert. Das Ergebnis: Es gibt weniger Stau und weniger Unfälle. Dieses "situative Tempolimit" könnte eine Lösung sein im Krieg um die Autobahn.
Vergrößern
In der Verkehrszentrale in Wien-Inzersdorf überwacht der Autobahnbetreiber ASFINAG 2.200 Kilometer Autobahnen. In Österreich gilt seit 1974 ein generelles Tempolimit. Christian Ebner von der ASFINAG sagt: "Wir bekennen uns zu Tempo 130. Die Unfallfolgen steigen mit zunehmender Geschwindigkeit."
Vergrößern
Auch der Schriftsteller Thomas Gsella ist überzeugt davon, dass ein Tempolimit Leben retten würde. Vor zwei Jahren ist seine Schwester von einem Raser abgedrängt und von der Autobahn geschleudert worden. Lucia Gsella und ihre Tochter haben den Unfall nicht überlebt. Sie sind auf einem Ruheforst in der Nähe von Hannover begraben.
Vergrößern
Thomas Gsella besucht das Grab seiner Schwester und deren Tochter. Er ist sicher: "Bei einem geringeren Geschwindigkeits-unterschied wäre der Unfall nicht tödlich verlaufen. Wenn wir ein Tempolimit hätten, würden meine Verwandten noch leben."
Vergrößern
Report, Verkehr

Deutschland ist die einzige westliche Industrienation mit einem gut ausgebauten Straßennetz, die eine maximal erlaubte Geschwindigkeit auf Autobahnen für überflüssig hält. Der Film vergleicht die erlaubten Höchstgeschwindigkeiten in Deutschland, Österreich (130 Stundenkilometer) und der Schweiz (120 Stundenkilometer). In beiden Ländern herrscht Konsens über den Erhalt des Tempolimits.

Wer hat bessere Argumente und neuere Studien? Schon seit 40 Jahren streitet Deutschland über die Einführung eines Tempolimits. Seitdem hat sich einiges geändert: Die durchschnittliche Motorleistung bei Erstzulassung ist rasant gestiegen, ebenso die Durchschnittsgeschwindigkeit auf Autobahnen. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Staukilometer allein in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Und die Autofahrer werden immer älter.

Die Argumente für eine allgemeine Höchstgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen (weniger Unfälle, weniger Staus, weniger Kohlendioxid) werden von Gegnern eines Tempolimits entkräftet – mit Referenz zur mehr oder weniger gleichen Datenbasis. Wer hat denn nun eigentlich Recht? Studien und wissenschaftliche Untersuchungen gibt es kaum. Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland findet das ungeheuerlich: "Wir haben es hier mit einem forschungspolitischen Loch zu tun, und das ist beabsichtigt."

Dass ein Tempolimit kein Thema im bundesdeutschen Wahlkampf ist, hat jedenfalls System. Jedes Mal, wenn ein Politiker es wagt, laut über ein generelles Tempolimit nachzudenken, weht ihm ein Sturm der Entrüstung entgegen. Von Gängelei und Schikane ist dann die Rede und der "Bundes-Verbots-Republik". Dabei hat sich bereits eine Mehrheit der Deutschen in Umfragen für eine Begrenzung des Tempos ausgesprochen – allerdings auf 150 Stundenkilometer.